Manuela: Wer kommt zum BTZ und warum?
Zu uns kommen Menschen mit psychischen Erkrankungen, die ihren alten Job in der Regel nicht mehr ausführen können. Bei uns können sie sich unter anderem beruflich neu orientieren und so neu Fuß fassen. Neben vielen Bielefeldern, kommen auch Menschen aus ganz Ostwestfalen-Lippe zu uns.
Bei psychischen Erkrankungen denkt man vor allem an Depressionen oder Burnout…
Burnout ist keine psychische Erkrankung und unterscheidet sich sehr von einer Depression. Zum BTZ kommen also nur Menschen, die eine sogenannte F-Diagnose haben – das heißt, dass bei ihnen eine psychische Erkrankung diagnostiziert wurde. Das schließt aber natürlich nicht aus, dass der oder diejenige nicht zusätzlich auch körperliche Einschränkungen oder gesundheitliche Probleme hat. Wir hatten zum Beispiel Menschen bei uns, die aufgrund ihrer Multiplen Sklerose nicht mehr arbeiten konnten und unter anderem dadurch depressiv geworden sind. Bei uns stehen aber immer die seelischen Probleme im Vordergrund.
In den Medien ist häufig vom gestressten Manager die Rede, der dann in eine Depression fällt. Stimmt dieses Bild, oder handelt es sich dabei um ein Klischee?
Da kann ich nur sagen: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Psychische Erkrankungen treffen Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten und mit ganz verschiedenen Berufsbildern. Vom Chemiker über den Tischler bis hin zu Erzieherin oder Köchin, sind wirklich alle Berufe vertreten. Und dann kommen auch Menschen zu uns, die aufgrund ihrer Vorgeschichte nie einen Beruf erlernen oder ausüben konnten.
Einige haben auch Abitur und ein Studium begonnen. Viele dieser Menschen wundern sich dann nach einiger Zeit, weshalb sie ihr Leben nicht „in den Griff bekommen“. Mitunter ist die Ursache auch eine psychische Erkrankung. Es kann aber jeden treffen und der Grad zwischen seelischer Gesundheit und einer seelischen Erkrankung ist sehr schmal.
Welche Faktoren spielen hier denn eine Rolle?
Ein Job, der viel Kraft kostet, kann auch dazu führen, dass ich mich nicht mehr genug um mich selbst kümmere. Wer ständig unter Stress oder schwierigen Arbeitsbedingungen leidet, nimmt sich in der Regel nur wenig Zeit für sich selbst und eine wichtige Ressource schwindet. Auch dies kann dann ein Auslöser sein. Wir alle haben nur begrenzte seelische Ressourcen zur Verfügung und wenn diese aufgebraucht sind, wird man krank.
Wie finden die Menschen denn zu euch?
In der Regel über einen Kostenträger wie beispielsweise die Agentur für Arbeit, die Jobcenter oder die Deutsche Rentenversicherung. Ein Beispiel: Du bist seit 20 Jahren als IT-Berater unterwegs und verlierst aufgrund einer Erkrankung – psychisch und/oder physisch – dann deine Anstellung: In diesem Fall hast du ein Anrecht auf Unterstützung bei dem Wiedereinstieg in einen Beruf, in das Arbeitsleben.
Das Problem: Du musst natürlich wissen, dass es diese Möglichkeit gibt. Weißt du das nicht, geisterst du im schlimmsten Fall durch unser soziales System bis dich zum Beispiel eine Reha-Klinik über diesen Anspruch auf Unterstützung aufklärt. Eine Möglichkeit zur beruflichen Rehabilitation ist dann eben ein Berufliches Trainingszentrum wie unser BTZ Bielefeld. Auch aus diesem Grund versuchen wir, das BTZ stärker in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und so Hürden abzubauen.
Es gibt übrigens auch die Möglichkeit, bei uns ein unverbindliches Infogespräch zu vereinbaren – auch wenn es noch keinen Kostenträger gibt. Dann unterstützen wir die Menschen, die zu uns kommen, auf ihrem weiteren Weg.
Wie geht es dann weiter?
Unser Ziel ist es, dass die Menschen wieder einen Job finden. Einige haben natürlich Bedenken, ob sie überhaupt jemals wieder in der Lage sein werden, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Wir bieten daher zunächst eine fünfmonatige Orientierungsphase an. In dieser Zeit schauen wir, wie stabil der Teilnehmer ist, mit welchem „Gepäck“ er zu uns kommt und welche Unterstützung er wirklich braucht. Bei uns gibt es kein Standardprogramm, sondern wir versuchen wirklich individuell auf jeden einzelnen Menschen einzugehen und seinen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Unser Team ist entsprechend breit aufgestellt. Wir haben Ergotherapeuten, Psychologen, Pädagogen oder Experten für die einzelnen Berufszweige im Haus. Wir haben auch ganz unterschiedliche berufliche Trainingsbereiche wie den kaufmännischen Bereich, den gewerblich-technischen Bereich, den hauswirtschaftlichen Bereich. Unsere Teilnehmer haben dann in diesen ersten fünf Monaten Zeit, für sich selbst herauszufinden, welcher Berufszweig zu ihnen passt. Dies erfolgt auch durch die Vermittlung von Praktika in Unternehmen, um so die Wiedereingliederung zu unterstützen.
Von beruflichen Kompetenzen mal abgesehen: Was lernen die Teilnehmer darüber hinaus beim BTZ?
Unter anderem sich abzugrenzen: Wer die eigenen körperlichen und seelischen Grenzen nicht kennt oder sie nicht genügend wahrnimmt, rutscht schnell in eine Überforderung. Wenn dieser ganz wichtige Aspekt verinnerlicht wurde und Perspektiven für den Teilnehmenden auf dem Arbeitsmarkt gesehen werden, wechselt der Teilnehmer – nach Absprache mit dem Kostenträger – in die zweite Phase. Diese dauert bis zu sechs oder sieben Monate und endet dann im besten Fall mit einer Anstellung. Dazu gehen wir in die Betriebe, schauen, welche Berufsbilder und Möglichkeiten es dort gibt und wie man hier eventuell zusammenkommen kann.
Gibt es Erfolgsgeschichten, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Da gibt es eine ganze Menge. Die Frage hier ist natürlich: Was ist ein Erfolg? Das kann eine Anstellung in Vollzeit sein oder eben ein erfolgreiches Praktikum, das dem Teilnehmer neues Selbstvertrauen gibt. Ich denke da zum Beispiel an eine Frau, Ende 40, die an Multiple Sklerose erkrankt war und dadurch in eine Depression gefallen ist. Sie war körperlich schon sehr beeinträchtigt, betreute aber dennoch Menschen mit einer Behinderung. Durch ihre Krankheit war aber klar, dass sie in diesem Beruf nicht mehr dauerhaft arbeiten kann. Sie wollte aber trotzdem gerne weiterarbeiten – allein schon, weil die Arbeit wichtig für ihre persönliche Identität war.
Viele Menschen vergessen, dass Arbeit eben auch sinnstiftend ist. Ich hatte dann in meinem Bekanntenkreis Kontakt zu einer Psychotherapeutin, die Sprechstunden für ihre Patienten anbot und für die Organisation Unterstützung suchte. Für unsere Teilnehmerin passte das perfekt. Die Arbeit ist körperlich nicht belastend und auf wenige Stunden in der Woche begrenzt. Nach einem ersten Kennenlernen und einem Vorstellungsgespräch ist es dann tatsächlich zu der Anstellung gekommen. Dieser unkomplizierte Weg und das tolle Ergebnis waren für mich ein echtes Erfolgserlebnis. Natürlich braucht es dazu manchmal auch ein wenig Glück.
Sind denn viele Arbeitgeber so offen?
Nicht alle. Viele Unternehmen wissen natürlich auch nicht, was auf sie zukommt. Da herrscht eine gewisse Verunsicherung – gerade wenn es sich um eine Kombination aus körperlicher und seelischer Erkrankung handelt. Deshalb begleiten wir die Teilnehmer und Unternehmen während der beruflichen Wiedereingliederung und stehen als Ansprechpartner immer zur Seite. Unsere Arbeit hört nicht auf, wenn der Teilnehmer in den Job vermittelt wurde. Wir beraten und begleiten auch nach der Übernahme in den Beruf.
Was können denn Unternehmen tun, damit ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eben nicht seelisch krank werden?
Da gibt es nicht die eine Antwort. Eines kann ich aber sagen: Egal ob im Mittelstand oder im Konzern: Das Thema Ausfallzeiten durch psychische Erkrankungen rückt immer mehr in den Vordergrund und ist für die Betriebe ein riesiges Problem. Da entsteht auch volkswirtschaftlich ein enormer Schaden. Viele Unternehmen überlegen daher nun, was sie tun können, um psychische Erkrankungen zu vermeiden und frühzeitig gegenzusteuern.
Hier spielt natürlich auch der Fachkräftemangel eine Rolle. Neben einer fairen Entlohnung werden Faktoren wie eine angenehme Arbeitsatmosphäre – etwa durch eine flexible Arbeitszeitgestaltung – immer wichtiger. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist natürlich ein weiteres Thema, dass stark in den Fokus rückt. Wichtig ist auch, dass sich der Mitarbeiter nicht das Gefühl hat, vollständig fremdbestimmt zu sein. Wer bei unternehmerischen Entscheidungen ein Wörtchen mitreden darf, wird mehr Freude an seiner Arbeit empfinden und dadurch auch seltener krank.
Welche Verantwortung haben die Führungskräfte?
Hier ist es wichtig, dass eine neue Sensibilität entsteht. Wer als Führungskraft erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung erkennt, kann auch schnell handeln und überflüssige Belastungsfaktoren abbauen. Das ist für beide Seiten immer der beste Weg. Einige Firmen haben sogar Kooperationen mit Psychotherapie-Praxen. Dabei erhalten die Mitarbeiter die Möglichkeit bei Problemen anonym und vertraulich das Gespräch zu suchen.
Bielefeld ist eine Großstadt mit vielen erfolgreichen Unternehmen. Kommen psychische Erkrankungen hier häufiger vor, als beispielsweise auf dem platten Land?
Psychische Erkrankungen machen nicht an der Ortsgrenze halt. Genau deshalb kommen ja Menschen aus ganz OWL zu uns. Und auch auf dem Dorf gibt es Menschen mit seelischen Problemen. Das die Großstadt Menschen krank macht, kann ich so nicht sagen.
Was denkst du, ist eine unterschätzte Qualität von Bielefeld?
Bielefelder gelten ja als etwas verstockt und wenig offen. Ich denke, dass Gegenteil ist der Fall. Wir sind hier sehr sozial und dieses Außenbild ist nicht gerechtfertigt.
Mal angenommen du könntest für einen Tag Oberbürgermeistern von Bielefeld sein. Gibt es etwas, was du sofort ändern oder umsetzen würdest?
Ich finde, die Gastronomiebetriebe hier könnten etwas kinderfreundlicher werden. Das ist definitiv noch ausbaufähig (lacht).
Manuela, vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg!